Am 25. Januar 2023 fuhren die Geschichtskurse der Q2 nach Wewelsburg im Kreis Paderborn. In dem historischen Museum dort sollten wir etwas über die Zeit des Nationalsozialismus in dem Ort und auf der Wewelsburg erfahren. Vor dem Besuch habe ich mir, ehrlich gesagt, nicht wirklich Gedanken darüber gemacht, was mich dort erwarten würde. Meine Erwartung war mehr, dort durch eine ewig lange Ausstellung laufen zu müssen mit vielen Infotafeln, von denen ich mir eh das Wenigste merken würde. Besonders spannend fing der Besuch dort auch nicht an. Das Wetter war trübe, etwas Schnee lag noch und besonders viele Menschen waren auch nicht zu sehen. In drei Gruppen aufgeteilt, bekamen wir jeweils einen Museumsführer zur Seite gestellt. Unsere Gruppe begleitete Herr Ellermann.
Damit hatte ich anfangs nicht gerechnet, aber als pädagogischer Mitarbeiter der Wewelsburg hatte er sehr viel Erfahrung mit Besuchergruppen wie unserer, was sich aus meiner Perspektive sehr positiv auf unseren Besuch dort auswirkte. Als offensichtlich begeisterter Historiker konnte er uns viel erzählen und hatte dazu noch viele weitere spannende und ungewöhnliche Informationen parat, die er immer wieder gerne mit uns teilte, so dass es nie wirklich langweilig wurde.
Unser Rundgang begann ganz unten in einem Nebengebäude der Wewelsburg, wo sich eine Ausstellung zu der Zeit, als die SS auf der Wewelsburg war, befand. Herr Ellermann begann damit, für uns noch einmal die allgemeine Entwicklung des Nationalsozialismus in Deutschland zu rekapitulieren. Gleichzeitig konnte er uns aber auch immer sagen, wie sich das Leben in Wewelsburg veränderte. Er erzählte uns von der SS, die die Burg vertraglich bis in die 2030er pachtete, von der Errichtung des zwar vergleichsweise kleinen Konzentrationslagers in Wewelsburg und schließlich davon, was auf der Wewelsburg passierte, nachdem der Zweite Weltkrieg verloren war.
Ich gebe zu, das klang jetzt schon nach vielen Informationen. Das waren sie auch, aber angenehm verpackt, aus meiner Sicht. Zum einen durch mobile Klapphocker, auf die wir uns währenddessen setzten konnten. Denn mal ehrlich, jeder kann wohl besser zuhören, wenn er sich währenddessen nicht abgelenkt die Beine in den Bauch stehen muss, oder? Zum anderen rührte es daher, dass Herr Ellermann nicht nur über die Vergangenheit bestens informiert war, sondern auch über die Gegenwart. So machte er die Geschichte für uns greifbar, indem er durch eine Fotografie einen Bezug zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem heutigen Krieg Russlands gegen die Ukraine herstellte. Oder auch durch seine Bezugnahme zur heutigen Rap-Musik, die durchaus viele von uns Jugendlichen heute hören und daher auch sehr ansprechend war.
Natürlich bekamen wir danach auch noch Zeit, uns selbst in der Ausstellung umzusehen, in der es um die Personen der SS auf der Wewelsburg ging und um das Leben der Menschen mit den Nazis im Dorf.
Danach führte uns Herr Ellermann in den runden Turm der Wewelsburg. Dort gibt es einen kapellenartigen Raum aus Sandstein mit zwölf Fenstern. Doch weswegen er uns eigentlich dorthin geführt hat, war die sogenannte „Schwarze Sonne“, die im Boden dort eingearbeitet ist: ein Symbol der Nationalsozialisten, für einige von ihnen eine Art Heiligtum und der Grund, weshalb bis heute auch viele Rechtsextreme und Neonazis zur Wewelsburg kommen. Zusätzlich erzählte uns Herr Ellermann von den verschiedensten Begegnungen, die er mit solchen Menschen als Museumsführer auf der Wewelsburg bereits erlebt hat.
Mir war bis dahin nie so bewusst gewesen, dass es natürlich auch Rechtsextreme gibt, die dorthin kommen. Daher haben mir der offene Umgang dort und das bewusste Ansprechen dieser Problematik durch Herrn Ellermann sehr gefallen. Es hat mir in der Hinsicht zudem die Augen geöffnet, dass es eben immer noch diese extremistischen Gesinnungen gibt und der Nationalsozialismus nicht vollkommen überwunden ist.
Das Ganze bewusst anzusprechen hat außerdem das wohlüberlegte Konzept der Wewelsburg hervorgehoben. Mir als Besucher ist dadurch aufgefallen, dass man sich wirklich Gedanken darüber gemacht hat, wie man die Thematik des Nationalsozialismus präsentiert. So hat man in den Raum der „Schwarzen Sonne“ bunte Sitzsäcke verteilt, um diesen Ort für Rechtsextreme zu „entweihen“. Oder man hat ebenfalls in der zum Turm dazugehörenden Gruft darunter, auf die ich gleich noch näher eingehen werde, Kunstwerke gehängt, die den Schrecken und das Leid des Zweiten Weltkrieges ausdrücken. Auch zu erwähnen ist, dass das Museum Gegenstände mit nationalsozialistischer Bedeutung und Symbolik gesammelt hat und in einem Schaukasten zeigt. Aber das Besondere daran ist, dass er unter der Decke hängt, sodass man die Dinge automatisch nicht lange betrachten oder gar bewundern kann.
Nach dem Raum mit der „Schwarzen Sonne“ ging es abwärts in die bereits erwähnte Gruft. Gebaut von KZ- Häftlingen, sollte dort ein „ewiges Feuer“ entfacht werden, bei dessen Anblick auch der Letzte vollkommen der nationalsozialistischen Ideologie Folge leisten sollte, so Herr Ellermann. Dann wies er unsere Gruppe an, uns in einem Bereich vor der runden Wand aufzustellen. Er selbst ging auf die andere Seite, stellte sich mit dem Gesicht zur gegenüberliegenden Wand und flüsterte etwas. Und was dann geschah, war wohl eine der erschreckendsten und beängstigendsten, aber eben auch beeindruckendsten Erfahrungen, die ich seit Langem gemacht habe. Denn plötzlich hörte man seine Stimme deutlich, als wäre er direkt hinter einem, obwohl dort nur die Wand war. Ähnlich war es, als wir uns an den Rand der Vertiefung stellen durften, wo einst das „ewige Feuer“ brennen sollte. Als Herr Ellermann dann etwas zu uns sagte, hörte es sich an, als würde da ein übernatürliches Wesen oder ein Geist zu einem sprechen. Besser oder treffender könnte ich diese Erfahrung nicht beschreiben. Eine Erfahrung, die ich, aber vermutlich auch die anderen meiner Gruppe noch gut in Erinnerung behalten werden, wenn ich an die teilweise erschrockenen und beeindruckten Gesichter und teilweise vor Erstaunen geweiteten Augen zurückdenke.
Anschließend ging es nach einer kurzen Pause in einem Seminarraum weiter. Da wir bereits das Symbol der „Schwarzen Sonne“ kennengelernt hatten, zeigte uns Herr Ellermann nun auch noch andere Symbole, die Rechtsextreme verwenden. Er zeigte uns verschiedene Tätowierungen von Rechtsextremen, eine für mich neue Seite des Neonationalsozialismus, über die man in der Schule für gewöhnlich nicht spricht. Auch eine Fotografie von einem Neonazi, der sich die „Schwarze Sonne“ mitten ins Gesicht tätowiert hat und damit den Hass und die Ablehnung gegenüber demokratischen Werten und Normen, die er in sich trägt offen zur Schau stellt, hätten wir sonst wohl auch nie gesehen. Für mich war es beängstigend und ungewohnt, so deutlich vor Augen geführt zu bekommen, dass es diese Menschen, solche Nazis, wirklich gibt.
Ich denke, das war gut so, denn nur dadurch, dieses Bewusstsein zu schaffen, kann es gelingen, dass sich die Geschichte niemals wiederholt.
Schließlich besichtigten wir den zweiten Teil der historischen Ausstellung, die sich mit dem Konzentrationslager in Wewelsburg und den Menschen, die dort gefangen gehalten wurden, beschäftigte. Besonders erinnere ich mich daran, dass viele Zeugen Jehovas und Menschen aus osteuropäischen Ländern in diesem Lager waren. Von einigen Überlebenden hingen schwarz-weiße Porträtfotografien an der Wand. Alle zeigten ältere Personen und Herr Ellermann erzählte uns zu jeder von ihnen die zugehörige Lebensgeschichte. Manche von ihnen hatte er sogar bereits persönlich getroffen. Mir wurde bewusst, dass es für uns als Gesellschaft und für meine Generation immer weniger die Möglichkeit geben wird, Erlebnisse aus erster Hand zu erfahren, was mich traurig stimmte. Herrn Ellermann und dem Historiker in ihm merkte man die Begeisterung an, wenn er mit und über Zeitzeugen sprechen konnte – etwas sehr Besonderes. Denn es gibt wohl kaum etwas Effektiveres und Intensiveres, als wenn Zeitzeugen die Vergangenheit durch persönliche Erfahrungen und eigene Erlebnisse vermitteln.
Zum Abschluss unserer Führung stand eine Dorfbesichtigung an. Wir kamen an einem Haus vorbei, das voll sein sollte mit nationalsozialistischen Zeichen und in dem es ironischerweise einst einen Kindergarten nach dem Krieg gab. Herr Ellermann zeigte uns, wo der Eingang zum KZ gewesen war, wovon man heute aber kaum noch etwas sieht, da große Teile der Fläche des ehemaligen Konzentrationslagers heute mit Wohnhäusern bebaut sind. Sehen konnten wir aber die erhalten gebliebene Baracke der KZ-Küche. Nach dem Krieg wurde sie als Einrichtung für Sozialwohnungen genutzt. Was das wohl für ein Gefühl gewesen ist, dort zu wohnen? Eine sehr persönliche Frage, die wohl jeder für sich selbst beantworten muss und kann.
Neben der erhaltenen Baracke gab es ein Denkmal, das an die Menschen erinnert, und obwohl es kalt war und Schnee lag, lagen dort auch Steine, frische Blumen und Kerzen – Zeichen dafür, dass die Vergangenheit in Wewelsburg nicht vergessen wird.
(von: Anke Karpa, Q2)